Montag, 4. Oktober 2010

Freie Bahn für Betonierer

Vielen Dank für die Nachhilfe in Staatsbürgerkunde. Der Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, klärte gestern in „Bild am Sonntag“ (wo sonst …) die Gegner von „Stuttgart 21“ darüber auf, dass es ein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau nicht gebe. „Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst.“ Das Projekt sei demokratisch ausreichend legitimiert.
Aha. Gut zu wissen. Da hat einer aufgepasst. Na ja, nicht ganz. Legal mag das Mammutprojekt ja mehr oder minder sein. (Ob das Fällen der 282 Bäume im Schlosspark nicht den Juchtenkäfer gefährdet und damit gegen den Artenschutz verstößt, ist freilich noch zu klären.) Seine Legitimität hingegen steckt, um das mindeste zu sagen, in der Krise.
Im 21. Jahrhundert ist es eigentlich außer in Diktaturen nicht mehr üblich, Infrastrukturprojekte dieser Größenordnung ohne ständige Arbeit an der Akzeptanz bei der betroffenen Bevölkerung durchzuziehen. In Stuttgart gab es zwar 1997 eine „offene Bürgerbeteiligung“. Beschlüsse wurde erst danach gefasst. Seither freilich sank die Zustimmungsrate, Umfragen zufolge, ständig. Heute scheint eine Mehrheit der Stuttgarterinnen und Stuttgarter gegen das Vorhaben zu sein.
Nun gibt man aus guten Gründen für gewöhnlich nichts darauf, was das „Volk“ will, lässt es bloß alle paar Jahre zum Urnenngang antreten und bietet ihm ansonsten Brot und Spiele. Im parlamentarischen System ist der angebliche Souverän bloß ein notwendiges Übel. Je besser man ihn durch Institutionen in Schach hält, umso effizienter lässt sich Politik gestalten. Demokratie heißt ja nicht, wie manche glauben, dass das Volk regiert, sondern, viel realistischer, dass das Volk seinem Regiertwerden zustimmt.
Hier nun setzt das Versagen von Leuten wie Mappus ein. Die Formalitäten hatte man erledigt, der Rechtswegs war eingehalten worden und ist somit fürderhin ausgeschlossen. Nur ist Stimmung (und Zustimmung ist bei Kollektiven primär Stimmungssache) eben nicht durch Formalakte steuerbar. Im Vertrauen auf die eigene Macht und vielleicht sogar im ehrliche Glauben an die eigene Rechtmäßigkeit hat man bei den Betreibern des Bahnhofsumbaus völlig übersehen, dass das ganze mitten in der Stadt stattfindet, dass Abreißen und Bäumefällen nicht heimlich geschehen kann und dass Bilder zählen und nicht Argumente. (Ganz abgesehen davon, dass die Argumente der Projejktgegner auch nicht zu verachten sind.)
Indem sie die Demonstranten „aus der Mitte der Gesellschaft“ behandelt, als handle es sich um Öko-Spinner und Krawallmacher, zieht sich die Stadt- und Landespoltik selbst den Boden unter den Füßen weg. Gegen Randgruppen (am besten rechtlose) kann man brutal sein. Die Wählerinnen und Wähler aber braucht man eines Tages wieder. Und wenn die bis zur Landtagswahl die Polizei-Attacken bzw. die Bilder davon nicht vergessen, sieht’s duster aus für die Schwarzen im Ländle.

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