Montag, 28. Februar 2011

Erdogan hat Recht

Mischt der türkische Ministerpräsident Recip Erdogan sich, wie es nun vielfach heißt, ungebeten ein in innerdeutsche Integrationsdebatten? Unsinn. Immerhin geht es um türkische Staatsbürger, auch wenn sie in Deutschland leben. Da soll der türkische Regierungschef nicht zuständig sein?
Mit seiner diesjährigen Rede in Düsseldorf sorgt Erdogan wieder für Aufsehen. Im Vorjahr forderte türkische Gymnasien in Deutschland, diesmal erklärte er, türkische Kinder sollten zuerst Trürkisch und dann Deutsch lernen.
Beides macht allerdings durchaus Sinn. Das deutsche Bildungssystem diskriminiert alle, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Dabei ist es eine gängige pädagogische Erkenntnis, dass, wer seine Herkunftssprache beherrscht und mit dieser Befähigung ernst genommen wird, auch im Umgang mit der Mehrheitssprache und anderen Bildungsgegenständen besser zurecht kommt.
Dass die in Deutschland lebenden Türken ein Recht auf ihre Sprache haben, versteht sich ja eigentlich von selbst. Das beeinträchtigt auch in keiner Weise ihre „Integration“ (worin auch immer diese ansonsten bestehen mag). Etwas anders wäre die Situation, wenn die in Deutschland Geborenen oder lange hier Lebenden vom Gesetz zu Deutschen gemacht würden. Da sie aber als Ausländer gelten und auch so, nämlich als nicht vollwertige Bürger behandelt werden, gibt es auch keine Verpflichtung ihrerseits, sich dem deutschen Staat, der sie zurückweist, und der — ja übrigens gar nicht verfassungsmäßig vorgeschriebenen — deutschen Sprache besonders verbunden zu fühlen. Und warum übrigens sollen Türken weniger Recht auf ihre Muttersprache haben als Dänen und Sorben? Weil sie Einwanderer sind (wie die Deutschen, die ja auch erst nach den Sorben usw. ins Land gekommen sind)?
Politiker und „Experten“, die sich nun wieder reflexhaft über Erdogans Rede erregen, täuschen über das eigentliche Problem hinweg: Wie geht die Mehrheitsgesellschaft mit ihren Minderheiten um? Wenn es um „Ausländer“ geht, nicht gut. Das Einwanderungland Deutschland leistet sich sowohl auf offizieller Ebene („Es ist Deutschland hier“) wie im Alltag („Reden Sie gefälligst deutsch“) eine Politik der Ausgrenzung und Benachteiligung. Sage mir, wie du mit der Forderung, Türken sollten Türken sein dürfen, umgehst, und ich sage dir, wie deutsch du bist.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Deutsch, deutscher, Brot

Die deutschen Nationalfarben sind eigentlich nicht Schwarz, Rot und Gold, sondern Schwarzbrot, Graubrot, Weißbrot. (Im Nebenland Österreich, wo der Ausdruck Graubrot ungebräuchlich bis unbekannt ist, kommt man bei der Trikolore konsequenterweise mit zwei Farben aus: Schwarzbrot, Weißbrot, Schwarzbrot.)
Die Deutschen und ihr Brot: un amour fou. Kaum eine Erzählungen von jemandem, der länger als eine Woche außerhalb von Deutschlands kulinarischem Hoheitsgebiet verbringen musste, die ohne zu Herzen gehende Schilderungen davon auskommt, wie schreckliches es doch war, kein richtiges Brot zu bekommen. Denn das Brot vom Rest der Welt ist für richtige Deutsche kein richtiges Brot. Nur deutsches Brot zählt.
Da wundert es, dass der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerkes erst jetzt die Erstellung eines Deutschen Brotregisters angehen will, in dem die Vielfalt deutscher Brotsorten ordentlich und gründlich erfasst werden soll. Das sei auch als erster Schritt dazu gedacht, so hört man, die deutsche Brotkultur von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkennen und schützen zu lassen. Was für die französische Koch- und Esskultur bereits der Fall sei, müsse auch für der Deutschen tägliches Brot nur recht und billig sein.
Deutsches Brot für die Welt? Als immaterielles Kulturerbe? Nun ja. Viele verschiedene Namen für im Grunde sehr wenige verschiedene Sorten ergibt eigentlich noch keine Vielfalt, die etwa mit der von Wein oder Käse in Italien oder Frankreich mithalten könnte. Und Brot ist ja schließlich bloß Brot. (Aber das sieht kein richtiger Deutsch ein. Für den ist es eine Weltanschauung.)
Zudem haben, wie man beim Durchqueren deutscher Innenstädte unweigerlich bemerkt, die „Backshops“ längst die Bäckereien an den Rand gedrängt. Von Wortwahl und Sache her eigentlich kein Ausweis besonderen Kulturbewusstseins. Und die Neigung mancher Deutscher, frisches Brot einzufrieren und wieder aufzutauen, ist, spricht eher für Liebe zur Labbrigkeit als für gehobene Esskultur. Anscheind kommt es vielen gar nicht darauf an, wie ihr Brot schmeckt, sondern bloß darauf, dass es deutsch ist.
Deutsches Brot sei in aller Welt beliebt, heißt es von verbandsoffizieller Seite. Das stimmt freilich nur mit dem Zusatz: bei den Deutschen in aller Welt ist deutsches Brot beliebt. Wo ein paar Deutsche dauerhaft wohnen, gibt es bald auch eine German Bakery. Gäbe es jedoch tatsächlich ein echtes Interesse Nichtdeutscher an „richtigem“ Brot, wäre dieses im Ausland ja nicht so schwer bis gar nicht zu bekommen, oder?
Das größte Hindernis auf dem Weg zur administrativen Durchsetzung der Weltgeltung deutscher Backkunst ist jedoch, dass die Bundesrepublik Deutschland dem Übereinkommen zur Erhaltung des Immaterielen Kulturerbes noch gar nicht beigetreten ist … (Anders als übrigens Österreich und die Schweiz.)
Die Welt wird also noch warten müssen, bis sie erfährt, dass Deutsches Brot zu ihrem kulturellen Erbe zählt. Bis dahin zumindest werden diese Milliarden Unglücklicher wohl weiterhin ihr falsches Brot backen und die in ihre unwirtlichen Gegenden verschlagenen Deutschen sich nach dem „richtigen“ sehnen lassen. Dieses „Brotweh“ ist nun ganz sicher ein typisch deutsches immaterielles Kulturgut. Aber schützenswert?

Samstag, 19. Februar 2011

3 : 1 für Afghanistan

Wäre ich zynisch, schriebe ich: „Na bitte, es geht doch. Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee hat jüngst drei Bundeswehrsoldaten erschossen. Nun gehört es ja bekanntlich zum selbsterteilten deutschen Mandat, Afghanen an der Waffe auszubilden. Und siehe da: Der Mann hat getroffen! Ein kleiner Erfolg. Mission erfüllt.“
Ich bin aber nicht zynisch. Allenfalls sarkastisch. Dem Wahnsinn ist nur mit Wahnsinn zu begegnen. Paradoxe Intervention. Als ob man zu einem Selbstmordwilligen auf dem Fenstersims sagte: Na gut, dann springen Sie eben. Aber Sie werden sehen: Unten wird es auch nicht besser …
Krieg ist keine Lösung, sondern ein Problem. Soldaten sind keine Problemlöser, sondern Problemstifter. Schon ein gewisser Jesus soll gesagt haben: „Alle die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ (Mt 26,52b) Ist das zynisch? Nein, aber radikal.
Die Bundeswehr hatte in Afghanistan nichts zu suchen und kann dort darum nur verlieren. Unter anderem verloren dort bisher 48 Berufssoldaten ihr Leben und deren Hinterbliebene einen geliebten Menschen. Das ist traurig.
Noch trauriger aber sind die nach oben offenen Opferzahlen unter der sogenannten Zivilbevölkerung, also Menschen, die das Pech hatten, zu falschen Zeit am falschen Ort geboren worden zu sein und deshalb dort leben zu müssen, wo andere Krieg führen wollen. Anders als ihre Mörder hatten sie Töten und Zerstören nicht zum Beruf gemacht, ihr Ableben zur Unzeit, etwa durch einen von einem Deutschen bestellten Luftschlag, war also kein Berufsrisiko.
Dass ihr afghanischer Kollege plötzlich das Feuer auf sie eröffnete, damit hatten die deutschen Militärausbilder zwar sicher nicht gerechnet, aber siehe Mt 26,52. Also Augen auf bei der Berufswahl. Dass Krankenschwestern einander Bettpfannen um die Ohren hauen, kommt wahrscheinlich seltener vor. Gib jemanden aber eine tödliche Waffe, lehre ihn ihren Gebrauch — und er wird sie auch verwenden. Nicht immer erwartungsgemäß. Aber kein Waffengebrauch ist richtig. Taliban erschießen ist nicht besser als auf Deutsche zu ballern. Übrigens wurde der afghanische Todesschütze anschließend selbst erschossen. Wer zur Schusswaffe greift …

Mittwoch, 16. Februar 2011

Ein Vorschlag zur Güte: Der Broniowski-Plan

Ein Vorschlag, der das „Flüchtlingsproblem“ — das eigentlich nur deshalb eines ist, weil man es dazu macht — mit einem Schlag löst: Ich plädiere für die Aufnahme der nordafrikanischen Staaten in die Europäische Union. Tunesien, Ägypten und Marokko sollten sofort beitreten dürfen, Algerien und Libyen, sobald sie sich ihrer derzeitigen Regimes entledigt haben. Dadurch würden beispielsweise die derzeit auf Lampedusa völlig unsinnigerweise Festgehaltenen zu dem, was sie sein wollen: Arbeitsmigranten. Das wäre sinnvoll und gerecht, denn ein bisschen Grenzöffnung und Asylgewährung löst keine Probleme, Wegsperren und Abschieben erst Recht nicht.
Abgeschoben werden könnten, finde ich, jene Dummschwätzer (zum Teil im Ministerrang), die derzeit verkünden, es gebe nach dem Ende der Diktatur keinen Grund für „diese Leute“, ihr Land zu verlassen, sie sollten besser zu Hause bleiben und dort für bessere Verhältnisse sorgen. Wer so realitätsfern faselt, wäre in Nordkorea besser aufgehoben. Dort besteht an Abschottungspolitikern anscheinend noch ein gewisser Bedarf.
Wer hingegen auch nur eine geringe Ahnung von der wirtschaftlichen Situation Tunesiens hat, versteht sofort, dass die durchwegs arbeitswilligen und oft gut ausgebildeten Arbeitsmigranten genau das sein wollen und keine Flüchtlinge. Sie wollen kein Gnadenbrot, sondern sich ihr täglich Brot selber verdienen, wollen etwas abhaben vom Kuchen, den Europa sich auf Kosten anderer bäckt. Denn dass Kleptokraten wie Ben Ali (und Mubarak und die Familie al-Saud und …) sich an der Macht halten konnten (und zum Teil noch können), verdanken sie dem Westen, der ihre Repressionsapparate duldete, finanzierte und vom Ausbeutungssystem profitierte. Menschen aus Tunesien und anderen rund ums Mittelmeer gelegenen Ländern im Unionseuropa Arbeit suchen und finden zu lassen, wäre also nichts als ein kleiner Beitrag zum sozialen Ausgleich.
Aber geht denn das, Nordafrikaner in der Europäischen Union? Sie sind ja schon da, nicht nur Frankreich hat sich partiell maghrebinisiert, auch in Wien etwa sind viele Würstelstände längst arabisch. Doch davon ganz abgesehen: Es kommt darauf an, welchen Begriff von Europa man hat. Ich persönlich orientiere mich sozusagen am Römischen Reich. Mir liegen gefühlsmäßig Marokko und Syrien näher als Finnland oder Schweden. Wenn man schon unbedingt die blassen Blonden in die EU aufnehmen musste (und diesen Irrweg mit Island fortsetzen will), dann sollten als Gegengewicht ein paar Orientalen her. Nicht, dass es nicht auch nette Dänen gäbe, aber eine kulturelle Bereicherung sind die Nordländer doch eigentlich nicht. Was wäre außer Knäckebrot und Billigmöbeln je Gutes aus Skandinavien gekommen? Man muss hingegen nur Ortsnamen wie Alexandria, Fez oder Damaskus raunen, um zu spüren, wo unser kulturelles Erbe herstammt.
Nennen wir es den Broniowski-Plan: Aufnahme des Maghreb (inklusive Ägyptens) in die EU. Phase eins. Türkei und Armenien, vielleicht Georgien. Phase zwei. Aufnahme von Syrien und Jordanien. Phase drei. Spätestens dann dürfte sich der sogenannte Nahostkonflikt von selbst erledigt haben, entweder besteht der Staat Israel als anti-muslimische US-Festung fort oder es wurde ein binatioanler Staat Palästina gebildet (oder halt ein Doppelstaat) — und der tritt dann der EU bei. Phase vier abgeschlossen. (Ob Skandinavier und Briten dann noch dabei sein müssen, wäre zu klären.)
Dass dieser Plan die inneren Probleme der Europäischen Union (Demokratiemangel, neoliberale Fixierungen) nicht unmittelbar löst, sei zugegeben. Aber zweifellos wüchse durch eine Orientalisierung die Chance, dass auch das erledigt wird. Wer Ben Ali und Mubarak abgeschüttelt hat, wird auch mit Merkel und Sarkozy — oder wie die Demokratieverhinderer und Kapitalbegünstiger dann heißen — fertig. Vom Orient zu lernen heißt nicht nur, Lebensart zu lernen, sondern vom Orient zu lernen heißt, wahrhaft europäisch zu werden.

Sonntag, 13. Februar 2011

Liberation Square

Seltsam. Wann immer mich etwas ärgert, finde ich Worte, um mir Luft zu verschaffen. Wenn mich hingegen etwas freut, habe ich eigentlich nicht, das Bedürfnis, etwas zu sagen. Aber ein paar Gedankensplitter notiere ich doch.

Als Übersetzung von midan at-tahrir wirkt liberation square viel poetischer als Platz der Befreiung. Zumal der Platz gar nicht quadratisch zu sein scheint und — wenn ihn nicht gerade demonstrierende Menschen bevölkern — einen Kreisverkehr enthält. Dessen Mittelinsel ja die eindrucksvolle kleine Zeltstadt beherbergt hat: temporäres Monument eines Aufstandes.

Was habe ich da eigentlich gesehen, Tag für Tag vor Fernseher und Rechner sitzend? Eine Revolution? Wohl kaum. Die Strukturen sind noch dieselben wie zuvor. Was sich verändert haben könnte, ist die Einstellung der Leute. Viele haben, zum Teil unter Einsatz von Leib und leben, etwas gewollt und gewagt und sogar etwas erreicht: Mubarak ist weg vom Fenster. Was jetzt kommt, weiß keiner. Aber etwas Neues hat begonnen. Was?

Vielleicht passt der Ausdruck Intifada, Abschüttelung, am besten. Eine Bevölkerung hatte ihren Diktator satt und zwang ihn zum Rückzug.

Mich überraschte, dass mir, der ich Massenansammlungen nicht ausstehen kann, die Demonstrationen sympathisch waren. Die Menschen waren mir sympathisch. Warum überrascht mich das? Die wenigen Ägypter, mit denen ich bisher in irgendeiner Form persönlich zu tun hatte, waren alle ausnahmslos nette Menschen. Habe ich etwa unbewusst meine Abneigung gegen Ägyptentouristen auf die von diesen ausgebeutete Bevölkerung übertragen? Nun ja, Bevölkerungen, die Diktaturen lange ertragen, sind mir suspekt. Ihr Wille zur Abschüttelung hat mich aber jedenfalls völlig solidarisch an die Seite der demonstrierenden Ägypter gestellt.

Bleibt, bis er geht, bleibt, bis er geht, flehte ich jeden Tag vor dem Bildschirm. Warum? Mubarak ist mir schnuppe. Ein Diktator geht, andere bleiben. Jeder Staat ist repressiv. Die Demokratie, wenn sie denn kommt, wird auch keine Wunder wirken. Aber was mir gefiel, war die Leidenschaft der Demonstrierenden. Wütend, aber mit viel Witz und Humor. Und medial versiert. Gegen Facebook, Twitter und das Internet insgesamt kann man an westlichen Schreibtischen noch so viele Einwände haben, den Ägyptern haben sie genützt.

Im Westen  wurde zuletzt gern über Islamophobie diskutiert: Ob man von einer solchen sprechen dürfe oder nicht. Leider ist nicht anzunehmen, dass die Verächter der Araber und Hasser des Islam (insbesondere die unter den Ex- bzw. Neostalinisten) sich durch die revolutionären Akte von Kairo und Tunis eines Besseren belehren lassen.

„Allahu akbar“, rief einer über den Platz. „Allahu akbar“, respondierten viele Tausende. Ich war beeindruckt. Wann wurde bei einer Revolution zuletzt öffentlich gebetet?

Und die Sache mit den Schuhen: großartig! Als Mubarak in der lange angekündigten Fernsehansprache doch nicht endlich seinen Rücktritt bekannt gab, dachte ich: Oh weh, jetzt kommt es zur Eskalation, jetzt brennt Ägypten. Aber die Demonstranten waren genial, sie versuchten nicht, den Präsidentenpalast zu stürmen und ließen sich nicht dabei abschlachten. Sie zogen einfach ihre Schuhe aus, hielten sie in die Luft und zeigten so ihre äußerste Verachtung. Dananch floh Mubarak schließlich.

Bemerkenswert der Wandel mancher „Experten“, insbesondere der Korrespondenten. Als nach Tunesien auch in Ägypten der Volkszorn erwachte, erklärte man, das habe kaum Chancen auf Erfolg, zu fest sitze Mubarak im Sattel, zu gut organisiert sei der Sicherheitsapparat. Zuletzt aber, als die Demonstranten sich durchgesetzt hatten, konnten viele Reporter ihre Freude über die Freude der Bewohner des Landes, aus dem sie berichten, nicht mehr verhehlen.

Erbärmlich das Verhalten mancher Touristen und westlicher Geschäftsleute. Es gibt Formen der Ignoranz, die implizit bösartig sind. Unterm Diktator es sich gut gehen lassen, und wenn die Diktatur dem Ende zuzugehen scheint, das Land fluchtartig verlassen? Widerwärtig.

Erwartbar das Verhalten der westlichen Politiker. Eben waren sie noch gut Freund mit dem Diktator, der in höchsten Tönen als Garant der Stabilität und vor allem des Friedens mit Israel gelobt wurde. Dann kurze Irritation. Und jetzt sind sie plötzlich alle auf Seiten des demokratischen Souveräns. Rückgratlos, machtgeil. Warum schüttelt man die nicht einfach ab? Nein, im Gegenteil, man wählt sie sogar.

Eine Frau, völlig in Stoff gehüllt, an den Händen Handschuhe, nur ein Schlitz für die Augen ist frei, lässt sich interviewen. Warum wird das nicht auch bei uns stilbildend? Merkel in der Burka, das wäre eine gewisse ästhetische Entlastung.

Und die Kopfbedeckungen der Männer! Was man alles so tragen kann … Männer mit Kopftüchern, warum nicht. Von Ägypten lernen, heißt Stil lernen. Wer im Politischen recht hat, kann im Modischen so falsch nicht liegen.

Als Mubraks Rücktritt bekannt gegeben wurde und das Volksfest begann, dachte ich mir: Wer sich jetzt nicht freut, musst ein schlechter Mensch sein. Und am Abend machte ich mit Wunderkerzen mein eigenes kleines Ersatzfeuerwerk.

Montag, 7. Februar 2011

Nachbemerkung zum Fall Mirco

Eigentlich möchte ich von der Entführung, Misshandlung und Ermordung des 10-jährigen Mirco aus Grefrath gar keine Einzelheiten hören. Das ist alles zu widerlich und zu traurig. Ein Detail freilich, das der Berichterstattung zu entnehmen ist, finde ich bemerkenswert und ich meine, dass es aus gewissen Gründen zu wenig beachtet wird. Der als Täter Ermittelte, der ja auch ein Geständnis abgelegt hat, ist ein 45-jähriger Familienvater, nach Scheidung zum zweiten Mal verheiratet, zwei Kinder aus erster, eines aus zweiter Ehe. Das Verbrechen habe er wegen Stress und Frust im Beruf begangen, heißt es. Irgendwelche Hinweise auf pädophile Neigungen, etwa einschlägiges pornographisches Material, so die Ermittler, gebe es nicht.
Fast scheint es so, dass dieser Täter den Medien nicht ganz recht ist. Er gibt nichts her. Er passt nicht zum verbreiteten Bild des kinderschänderischen Ungeheuers und ist auch kein einschlägig Vorbestrafter, sodass nach seiner Festnahme der Ruf nach lebenslangem Wegsperren „dieser Leute“ und, wenn’s doch nur möglich wäre, nach „Rübe ab!“ laut würde.
Banalität des Bösen? Bosheit des Normalen. Der Mörder von Mirco ist, von seinem Verbrechen abgesehen, ganz normal, ist wie Hunderttausende andere in Deutschland auch. Das wäre nun eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal klar zu machen, dass die Gefahr des „sexuellen Missbrauchs“ von Kindern und Jugendlichen im Wesentlichen nicht von Außenseitern ausgeht, sondern in der Mitte der Gesellschaft lauert. Sexuell motivierte Kindesmisshandlung, genannt „Kindesmissbrauch“, ist etwas, was weit überwiegend von Vätern, Onkeln, Brüdern begangen wird, also in der Familie.
Dass Mircos Mörder sein Opfer zufällig auswählte, ist ungewöhnlich. Gewöhnlich ist, dass es ganz normaler Familienvater war, der hier gewalttätig wurde und Sexualität als Machtausübung an einem weit Schwächeren praktizierte. Und der dann keine Hemmung hatte, sein Opfer als lästigen Zeugen zu beseitigen. Dann kehrte er zu seiner Familie zurück, als sei nichts gewesen.
Dass der Täter nicht „pädophil“ ist — nicht einmal in dem diffusen Sinne, in dem dieses Wort im öffentlichen Diskurs verwendet wird —, wird zwar berichtet, aber nicht reflektiert. Ich habe mittlerweile sogar „Experten“ reden hören, die zwar keine Sekunde mit dem Täter gesprochen haben, aber genau zu wissen vorgeben, dass da schon früher irgendetwas Einschlägiges gewesen sein müsse. Solche Psychologen galten sich nicht mit Fakten und Beweisen auf, sie wissen ja, wie alles gefälligst zu sein hat, aus der Tat folgern sie einen Tätertypus und aus einem von ihnen definierten Typus dessen möglichen Taten. Dass die Realität eine ganz andere ist, ficht sie nicht an.
Das passt ganz wunderbar zum öffentlichen Interesse. Niemand scheint wissen zu wollen, was wirklich vor sich geht in den Familien. Die Vorstellung, von irgendwelchen „Pädophilen“ gehe Gefahr für „unsere“ Kinder aus, hat eine beruhigende Wirkung, die Empörung über Monströses lenkt vom Normalfall ab. Der ist schrecklich genug. Da aber niemand auch nur im Entferntesten daran denkt, die heterosexuelle Kleinfamilie zu problematisieren, sondern diese im Gegenteil ungebrochen als erstrebenswertes Idyll gilt, wird sich am Elend auch nichts ändern. Gewiss, nicht jeder heterosexuelle Familienvater ist ein Triebtäter. Aber fast alle Täter sexuell motivierter Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen sind heterosexuelle Familienväter. Darüber spricht man nicht. Auch wenn man, wie im Fall Mirco, eigentlich gar nicht darüber schweigen kann.