Dienstag, 24. April 2012

Kein Offener Brief an den Rektor der Universität Wien

Am Nachmittag des 20. Aprils 2012 stand ich überraschenderweise vor verschlossenen Türen, als ich die Universitätsbibliothek benützen wollte. Wie ich erfuhr, war das gesamte Hauptgebäude auf Anordnung von Rektor Heinz Engl geschlossen worden. Die Begründung, die ich später auch der medialen Berichterstattung entnahm, lautete, es sei im Zuge der vorübergehenden Besetzung des Rektoratsräume und des Audimax sowie durch die Beendigung der Besetzungen durch die vom Rektor herbeigerufene Polizei zu Verunreinigungen und Sachschäden gekommen.
Nun kann ich mir nicht vorstellen, dass die Beschädigungen und Verschmutzungen das gesamte Gebäude betrafen. Was hat insbesondere die Universitätsbibliothek mit der Besetzung und Räumung von Rektorat und Audimax zu tun? So weit ich weiß: nichts. Ich selbst bin kein Studierender, sondern entrichte für die Bibliotheksbenützung eine jährliche Gebühr. Durch die vom Rektor angeordnete Sperrung des Hauptgebäudes konnte die Bibliothek ihre Gegenleistung für diese Gebühr nicht erbringen. Ich musste das Buch, das ich zurückgeben wollte, bei den Männern des Security-Dienstes abgeben. Was sind das für Zustände, die dieser Rektor da herbeigeführt hat!
Was hat überhaupt ein Sicherheitsdienst auf Universitätsgelände zu suchen? Wie ich höre, wurden dieser uniformierten „Security“ längst schon Aufgaben übertragen, die eigentlich qualifiziertem Fachpersonal (das man aber wohl „eingespart“ hat) zukommen, wie etwa die abendliche Aufforderung an Benützer der Theologischen Fachbibliothek die Leseräume und Magazine zu verlassen. Uniformierte in einer Universität hat es meines Wissens zuletzt in der Nazi-Zeit gegeben. In meiner eigenen Studienzeit jedenfalls gab es derlei nicht, und es wäre auch undenkbar gewesen. Sind die Studierenden heute militanter als früher? Ich finde nicht. Sie sie irgendwie gefährlicher? Wohl nur in der Vorstellung von Leuten, für die Studierende überhaupt eine Art Betriebsstörung darstellen.
Wie kam der Rektor also dazu, wegen einiger weniger und ohnehin schon polizeilich fortgeschaffter Besetzer nicht bloß diese, sondern schlechterdings alle Studierenden aus dem Universitätsgebäude auszuschließen und alle anderen, etwa nichtstudentische Bibliotheksbenützer wie mich, gleich mit? Ich finde dieses Vorgehen unangemessen und unverschämt. Es ist ein politischer Missbrauch des dem Rektor zustehenden Hausrechtes. Dieses sollte er dazu benützen, die Interessen der Lernenden und Lehrenden (sowie der Bediensteten) zu schützen und nicht, um politische Demonstrationen zu verhindern — denn darum ist es ihm ja wohl in Wahrheit gegangen.
Man mag zu den Anliegen der Studierenden, die der Aussperrung vorangegangen Besetzungen vorgenommen hatten, stehen, wie man will, man mag solche Methoden befürworten oder nicht, fest steht, dass Studierende, die durch die gesetzlichen Änderungen der letzten Jahre immer weiter entrechtet wurden, sehr wenige Möglichkeiten haben, öffentlich auf sich aufmerksam zu machen und wirksamen politischen Protest zu artikulieren. Außer Selbstverbrennung und Hungerstreik, die sich ja wohl niemand wünschen kann, bleibt eigentlich nur noch die Unterbindung des Lehrbetriebes und eine allgemeine Störung des Universitätsbetriebes als Formen eines aktiven zivilen Ungehorsams. Dass nun die Reaktion des amtierenden Rektors auf solches politisches Handeln das Herbeirufen der Polizei ist, finde ich ungeheuerlich!
Wie unschön unterscheidet sich das Verhalten des derzeitigen Rektors von beispielsweise dem Rektor Holczabeks, der im Herbst des Jahres 1987, am Abend des ersten Tages einer Audimax-Besetzung (aus der dann eine landesweite universitäre Protestbewegung wurde) zu den Versammelten kam, um mit ihnen zu diskutieren. Ich erinnere mich noch gut und mit Freude daran, wie Seine Magnifizenz dann, als zwei Polizisten in Uniform es wagten, das Audimax zu betreten, diese lautstark aufforderte, das Gebäude zu verlassen. Er habe hier das Hausrecht und sie hätten hier nichts zu suchen. Der Beifall der Versammlung war zu Recht groß. Rektor Holczabek war noch ein standhafter Verteidiger der akademischen Freiheit. Was ist Rektor Engl? Was will er sein?
Die Aussperrung aller Studierenden aus dem Hauptgebäude der Universität Wien am 20. April war eine völlig überzogene und in ihrer politischen Symbolik völlig verfehlte Maßnahme. Ich fordere den Rektor auf, sich für sein Fehlverhalten öffentlich zu entschuldigen. Vielleicht sollte er auch darüber nachdenken, ob er für sein Amt wirklich geeignet ist. Wie mir scheint, liegt ihm nichts an der akademischen Freiheit und auch nichts der Würde der Universität, die durch Polizeieinsätze und uniformierte Wachleute beschmutzt und beschädigt wird.

Das Vorstehende wurde von mir als Brief an Heinz Engl, den Rektor der Universität Wien, konzipiert und auch tatsächlich (selbstverständlich Form einer direkten Anrede) geschrieben worden, um später hier als Offener Brief veröffentlich zu werden. Eine vorübergehende Erkrankung hinderte mich allerdings am Weg zur Post, sodass ich das Schreiben nicht abschicken konnte. Seither ist zwar mein Ärger nicht geringer geworden, aber es hat sich etwas ereignet, das Teile des Briefes unaktuell hat werden lassen, denn, wie ich Medienberichten entnehme, inzwischen hat sich Herr Engl einer Diskussion mit Studierenden gestellt und die Schließung des Hauptgebäudes als „Fehler“ bezeichnet. Immerhin fast so etwas Ähnliches wie Einsicht. Meinen Protest gegen die Aussperrung jetzt noch abzuschicken, ginge also etwas ins Leere. Dennoch meine ich, abgesehen von meiner Verägerung, in dem Schreiben an den Rektor etwas angesprochen zu haben, was auch unabhängig vom Anlass relevant ist: die Universität als studentenfeindlicher Ort der Kontrolle und Disziplinierung; darum veröffentliche ich den Text des nie verschickten Briefes hier trotzdem.

Samstag, 14. April 2012

Kann denn Lesen Sünde sein?

Wieder einmal verstehe ich die derzeit herrschende Aufregung nicht. In deutschen Städten werden kostenlose Koran-Exemplare verteilt. Na und? Was ist daran so aufregend? Was ist daran so bedrohlich? Die Verteilenden sind, so heißt es, Salafisten. Aha. Und? Verteilen sie salafistische Texte? Davon ist keine Rede. Sie verteilen den Koran, den jeder halbwegs gebildete Mensch ohnehin gelesen haben sollte. Inwiefern soll das Propaganda sein? Propaganda wovon oder wofür? Wie ich höre, verzichten die Salafisten darauf, beim Koran-Verteilen ausdrücklich als solche aufzutreten und auch die Koran-Exemplare enthalten keinen Hinweis auf Salafismus. Was also ist an der Verteilungsaktion ein Grund zur Aufregung? Wozu der Ruf nach Beobachtung und gar einem Verbot?
Es werde befürchtet, dass mit dem Gratis-Koran für salafistisches Gedankengut geworben werde. Wirklich? Das wäre ja eine tolle Sache: Wenn man durch das bloße Lesen des Korans zum Salafisten würde, wäre der Salafismus die erfolgreichste Glaubensrichtung in der Geschichte der Menschheit!
Ich bin kein Salafist und teile die salafistischen Überzeugungen, soweit sie mir bekannt sind, nicht. Ich kann aber auch nichts Schlechtes an dem Anliegen erkennen, in jedem deutschen Haushalt solle sich ein Koran befinden. Ich bin ja auch für mindestens eine Bibel, einen Talmud und einige hinduistische und buddhistische Texte in jedem Haushalt. Ich bin überhaupt für Bücher und dafür, dass die Leute lesen.
Gewiss, das unbegleitete Lesen religiöser Texte birgt Gefahren. Die Leute pflegen ihre eigenen beschränkten Maßstäbe anzulegen und interpretieren wild drauflos. Ich bin also auch für exegetische Bücher in jedem Haushalt, für mehr und besseren Konfessions- und Religionsunterricht, nicht nur an den Schulen, sondern im öffentlichen Raum überhaupt. Die religiöse Bildung liegt im Argen, die Leute haben keine Ahnung, reden aber alle mit. Dem müsste abgeholfen werden.
Dass die Salafisten mit ihrer Koran-Verteilung letztlich andere Zwecke verbinden, mag ja sein, aber zunächst ist die Verteilung lesenswerter Gratisbücher eine lobenswerte Aktion, die zur Volksbildung beiträgt. Man kann nur wünschen, christliche und andere Gruppen nähmen sich das zum Vorbild und verteilten ihrerseits ihr religiöses Schrifttum gratis in den Fußgängerzonen.
Stattdessen wird jedoch einmal mehr ein Bedrohungsszenario aufgeführt, wird gewarnt und auf einseitige und manipulative Weise über die Aktion berichtet. Dass die Salafisten kein Interesse daran haben, sich vor Journalisten zu rechtfertigen, die etwas zur antiislamistischen Stimmungsmache beitragen wollen, ist verständlich. (Inwiefern tatsächlich jemand wegen „kritischer“ Berichterstattung bedroht wurde, lässt sich nicht mehr beurteilen, da das entsprechende Video inzwischen nicht mehr abrufbar ist. Damit wird der Vorfall zum Gerücht.)
„Kritische Berichterstattung gehört zum Kern der demokratischen Gesellschaft“, wird der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes zitiert. „Das müssen auch religiöse Eiferer akzeptieren.“ Müssen sie? Muss man sich tatsächlich wegen seiner religiösen Überzeugungen bespitzeln, herabwürdigen und als verbotswürdige Gefahr hinstellen lassen? Muss man das einfach als gängige Praxis hinnehmen oder darf man anderer Meinung sein?
Hier zeigen sich einmal mehr die Grenzen staatlicher „Neutralität“ und gesellschaftlicher „Toleranz“. Diese Phrasen kommen dann an ihr Ende, wenn jemand seine Religion ernst nimmt. Das geht nicht. Der Staat ordnet sich dem Religiösen über und bestimmt, was sein darf und was nicht. Und die Gesellschaft applaudiert. Der Umgang der „Neutralen“ und „Toleranten“ mit den Intoleranten und Überzeugungsstarken ist aber der Prüfstein für den Wahrheitsgehalt des Geredes von Religions- und Meinungsfreiheit. Und siehe da, toleriert wird nur, wer ebenso gleichgültig und glaubenslos ist wie die dumpfe Masse und ihre Herren. Wer das, was „Demokratie“ genannt wird, nicht nur in dieser oder jener Hinsicht, sondern grundsätzlich kritisiert, ist inakzeptabel. „Radikal“ gilt als Schimpfwort, weil Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit Pflicht sind. Der würdelose und zerstörerische Lebensstil, den die Moderne ihren Insassen auferlegt, darf nämlich nicht in Frage gestellt werden. Wer ein anderes als das herrschende Welt- und Menschenbild hat und eine Gesellschaft auf anderer Grundlage als der der Profitmaximierung und Ausbeutung will, ist ein Feind.
Ich bin, wie gesagt, kein Salafist und lehne, soweit ich weiß, den Salafismus ab. Aber Menschen, die grundsätzliche Einwendungen gegen die westliche Weltordnung haben, sind mir sympathischer als die Verteidiger des Status quo. Und wenn die Mittel, die die Salafisten anwenden, nichts Schlimmeres sind als das Angebot eines kostenloses Buchen und die Aufforderung zum Lesen, bin ich auf ihrer Seite.

Samstag, 7. April 2012

Gauckt's noch?

Geht es nur mir so, oder haben Sie auch schon länger nichts von Joachim Gauck gehört oder gelesen? Zuletzt lebte ich ja ständig in der Angst, der aktuelle Bundespräsident werde sich zu Günter Grass und dessen derzeit so eifrig rezipierten Weltfriedensgedicht äußern und dabei natürlich die endültigen Worte finden (solche der entschiedenen Verurteilung bei gleichzeitig größtmöglicher Versöhnlichkeit). Doch seit die deutschen Medien tagelang seine messianischen Qualitäten rauf- und runterbeteten, ist es verdächtig still um das jetzt schon gar nicht mehr so neue Staatsoberhaupt geworden. Erst verging kein Tag ohne Leitartikel zum neuen Heiland und Erlöser, jetzt völliges Schweigen. Muss man sich Sorgen machen? Geht es Herrn Gauck nicht gut? Vielleicht war es doch keine gute Idee, sich so knapp vor Karfreitag einen Ersatzmessias zu bestellen. Aber möglicherweise überrascht er mich und springt am Sonntagmorgen wie frisch aus dem Osterei gepellt aus der Versenkung hervor. Na denn mal Halleluja.