Samstag, 7. Juli 2012

Butler, Hamas, Hisbollah, Niedertracht

Lügen haben kurze Beine. Sagte man früher. Das Internet hat da etwas verändert, denn es macht manchen Lügen Beine, die zwar immer noch kurz sind, aber, wie bei Tausendfüßlern, das Fortkommen nicht hindern, im Gegenteil. So unwahr kann etwas gar nicht sei, dass es nicht erstens in Windeseile weltweit verbreitet würde und zweitens auch dann nicht aus der Welt zu schaffen ist, wenn es bereits mehrfach widerlegt wurde. Die Lüge bleibt wie das, was sie als solche überführt, im kollektiven Archiv und taucht immer wieder auf, als wäre nichts gewesen, was ihr im Wege hätte stehen müssen.
Beispiele für solch zähe Unwahrheiten, die trotz mehrfachen Widerlegens immer und immer wieder behauptet werden, sind Legion. Nur ein Beispiel also ist die gerade derzeit wieder häufiger zu lesende Behauptung, Judith Butler sei eine Unterstützerin von Hamas und Hisbollah oder habe diese beiden Organisationen zumindest dafür gelobt, fortschrittlich und Teil einer globalen Linken zu sein. Diese Lüge wird seit 2006 verbreitet und hat in diesen Tagen wieder Konjunktur, seit bekannt wurde, dass Butler im Herbst 2012 den Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main erhalten wird.
Auch wenn es zwar, wie eingangs festgestellt, nichts nützen wird, Unwahrheiten mit Tatsachen zu konfrontieren, so kann es doch nichts schaden, all denen, die weder dumm noch bösartig sind, einiges in Erinnerung zu rufen oder erstmals vorzustellen, was die Lüge von Butler als „Hamasfan“ (und „Israelhasserin“) widerlegt.
Im Jahr 2006 — Israel war wieder einmal im Libanon einmarschiert — nahm Judith Butler, Professorin für Rhetorik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der kalifornischen Universität zu Berkeley, ebendort an einem „Teach-In Against War“ teil. Am Ende der Veranstaltung wurden Fragen aus dem Publikum beantwortet. (Die gesamte „Question and Answer Session“ kann auf YouTube gesehen und gehört werden; hier wird nur ein Teil davon behandelt.) Zwei Fragestellerinnen wandten sich ausdrücklich an Judith Butler. Die eine war auf Grund ihres starken asiatischen Akzents und ihres Herumfuchtelns mit dem Mikrophon schwer zu verstehen, scheint aber danach gefragt zu haben, warum linke Friedensaktivisten und Intellektuellen zurückhaltend mit ihrer Unterstützung für die (im Gaza-Streifen) demokratisch gewählte Hamas und die (im Libanon ebenfalls als demokratisch gewählte Partei auftretende) Hisbollah wegen deren gewaltsamer Anteile seien. Die zweite Fragestellerin, mit einem mutmaßlich österreichischen Akzent, fragte ebenfalls nach Hamas und Hisbollah und was es mit der Forderung auf sich habe, Israel von der Landkarte zu streichen.
In ihrer Antwort ging Judith Butler jedoch zunächst auf einen vorherigen Fragesteller ein, der gefragt hatte, ob Macht und Einfluss der „Israel-Lobby“ legitim seien und ob jede Kritik an dieser antisemtisch sei. Butler anwortete: „I would just briefly say: I think it’s imperative to figure out what the mechanisms are of the various lobbies in the US – the American Jewish Congress, the American Jewish Committee, the Anti-Defamation League – how they work to help to formulate US policy toward Israel. I think there’s no question we need an honest, rigorous appraisal. I think there are some versions of it that strike me as perhaps a little too easily subscribing to conspiracy theories, and I think that there can be an antisemitic version, and there can be a really useful, critical version as well. I have no doubt it’s a very powerful lobby – I actually think of it as multifaceted – and I think we need more careful, rigorous analyses of it.“ (Ich übersetze das so: „In aller Kürze gesagt, ich denke, es ist erforderlich, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was die Mechnaismen der verschiedenen Lobbys in den USA sind — des American Jewish Congress, des American Jewish Committee, der Anti-Defamation League — wie sie zusammen- und daran mitwirken, um die US-Politik gegenüber Israel zu gestalten. Ohne Frage braucht es eine ehrliche und gründliche Einschätzung. Ich denke, es gibt da einige Spielarten, die mir ein bisschen zu rasch Verschwörungstheorien anhängen, und ich denke, es kann eine antisemitische Darstellung geben und es kann ebenso eine wirklich sinnvolle, kritische Darstellung geben. Ich zweifle nicht daran, dass es sich um eine sehr mächtige Lobby handelt — ich halte sie genau genommen für in sich vielfältig —, und ich denke, es braucht mehr sorgfältige und gründliche Analysen dieses Themas.“
Dann setzt Butler hinzu: „So you know the short answer is: one neither has to dispute the existence of such a lobby, or its power, to prove that one is not antisemitic; but neither does one have to accept every version of that, given that some versions are, I think, problematically bound up with conspiracy theories.“ (Meine Übersetzung: „Kurz gesagt, man muss weder die Existenz einer solchen Lobby noch ihre Macht bestreiten, um zu beweisen, dass man nicht antisemitisch ist, noch muss man alle Lesarten akzeptieren, zumal manche davon, wie mir scheint, auf problematische Weise mit Verschwörungstheorien verbunden sind.“)
Erst danach kommt Butler auf Hamas und Hisbollah zu sprechen. Sie sagt: „Similarly, I think: Yes, understanding Hamas, Hezbollah as social movements that are progressive, that are on the Left, that are part of a global Left, is extremely important. That does not stop us from being critical of certain dimensions of both movements. It doesn’t stop those of us who are interested in non-violent politics from raising the question of whether there are other options besides violence. So again, a critical, important engagement. I mean, I certainly think it should be entered into the conversation on the Left. I similarly think boycotts and divestment procedures are, again, an essential component of any resistance movement.” (Ich übersetze das: „Ebenso, denke ich: Ja, Hamas und Hisbollah als soziale Bewegungen zu verstehen, die fortschrittlich sind, die links sind, die Teil einer globalen Linken sind, ist von großer Bedeutung. Das hält uns nicht davon ab, gegenüber gewissen Aspekten dieser beiden Bewegungen kritisch zu sein. Es hält die von uns, die sich für gewaltlose Politik einsetzen, nicht davon ab, die Frage zu stellen, ob es außer Gewalt nicht noch andere Optionen gibt. Also wiederum: kritisches, wichtiges Engagement. Ich bin überzeugt, das sollte zur Auseinandersetzung auf der Linken gehören. Ebenso meine ich, dass Boykotte und Kapitalabzug ein wesentlicher Teil jeder Widerstandsbewegung sind.“)
Und daraus will man Judith Butler einen Strick drehen? Auf Grund dieser improvisierten Antworten in einem Teach-In erklärt man sie zur Unterstützerin von Terrororganisationen? Es wäre lächerlich, wenn es nicht vor allem niederträchtig wäre.
Butler hat in ihrer Antwort auf ihr gestellte Fragen nicht von sich aus Hamas and Hisbollah zu linken Bewegungen erklärt (und schon gar nicht gesagt, dass sie diese Organisationen unterstützt oder auch nur gut findet), sie hat aufgegriffen, was die Fragestellerin Behauptung voraussetze. Und daran ist auch nichts Falsches. Ob es einem gefällt oder nicht, Hamas und Hisbollah sind soziale Bewegungen, ihr Anspruch ist es, Unterdrückung zu bekämpfen und eine, wie sie es sehen, freiere und gerechtere Gesellschaft aufzubauen. Insofern sind sie „fortschrittlich“ und sogar „links“. Dass das jeweils erstrebte islamistisch geprägte Gemeinwesen, auf das die beiden Bewegungen hinauswollen, nach anderen Kriterien wiederum selbst repressiv und ungerecht sein könnte, ist ein anderes Thema; keineswegs ein weniger wichtiges, aber keines, das in der damaligen Frage-und-Antwort-Runde zur Debatte stand.
Ihre eigene Beurteilung der Ziele von Hamas und Hisbollah hat Judith Butler bei jener Gelegenheit jedenfalls nicht erörtert, sie hat nur aufgegriffen, was jemand anderer gesagt hat, und zugestimmt, dass das Thema wichtig ist. Daran ist, wie gesagt, nichts Falsches. Zu sagen, dass Hamas und Hisbollah als soziale Bewegungen zu verstehen sind, die zur globalen Linken gehören, macht niemanden zum Anhänger dieser Bewegungen oder gar zum Befürworter von Terrorismus, so wenig es jemandem zum Terroristen macht, wenn er sagt, die RAF müsse als Teil des linken Feldes im Westdeutschland der 70-er Jahre verstanden werden.
Im selben Atemzug jedoch — das macht die Rhetorikprofessorin deutlich hörbar! —, in dem sie die Wichtigkeit, Hamas und Hisbollah als Teil einer globalen Linken zu verstehen, zugesteht, besteht Butler jedoch darauf, die Gewaltbereitschaft und tatsächliche Gewaltausübung dieser Bewegungen zu kritisieren. Was für sie, die für Gewaltfreiheit eintritt, fraglos bedeutet, die Gewalt zu verwerfen. Niemand, der die Texte Judith Butlers kennt, kann daran zweifeln. (Leider reden weit mehr Leute über Butler, als sie Leserinnen und Leser hat …)
Es ist also falsch, dumm und bösartig, auch nach sechs Jahren immer noch das Lügenmärchen aufzutischen, Judith Butler habe zu irgendeinem Zeitpunkt die terroristische Politik von Hamas und Hisbollah unterstützt.
Bereits vor zwei Jahren erklärte Butler (in einem Gespräch mit Katharina Hamann, das in „Jungle World“ Nr. 30 / 29.6.2010 veröffentlicht wurde) unmissverständlich: „Als Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium habe ich gesagt, dass – deskriptiv gesehen – diese Bewegungen in der Linken zu verorten sind, doch wie bei jeder Bewegung muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er sie unterstützt oder nicht. Ich habe keine der genannten Bewegungen jemals unterstützt, und mein eigenes Engagement gegen Gewalt macht es unmöglich, das zu tun. Man könnte viel darüber sagen, wie diese Bewegungen entstanden sind und was ihre Ziele sind. Das würde bedeuten, sie als Bewegungen gegen Kolonialismus und Imperialismus zu verstehen. Jede Analyse müsste auch die gesellschaftlichen Dimensionen und den Ort der Gewalt im Kampf dieser Gruppen mit einbeziehen. Ich selbst habe mich deutlich gegen Gewalt ausgesprochen und in meinem Buch ‘Raster des Krieges’ für reflexive, nicht gewalttätige Formen argumentiert. Ich habe also eine Meinung dazu, wie diese Bewegungen beschrieben und analysiert werden sollten, aber ich arbeite nicht mit ihnen zusammen und habe mich niemals für diese Bewegungen ausgesprochen.“
Niemand, der nicht böswillig ist, kann das je anders gesehen haben, doch: „Diese schrecklich missverstandene Aussage wurde dazu benutzt, mich in Zeitungen und auf Websites zu diskreditieren. (…) Denn wenn ich wirklich ‘pro-Hamas’ wäre, wäre ich als Gesellschaftskritikerin nicht mehr glaubhaft. Doch diese Kritik ist niederträchtig, sie beruht nicht auf Fakten und lässt meine öffentlich geäußerte Haltung zu diesen Themen außer Acht.“ Und noch einmal, in aller wünschenswerten Klarheit: „Wenn Hamas und Hizbollah antisemitische Positionen vertreten, dann sind sie unbedingt abzulehnen. Doch man muss genau analysieren, ob in der Kritik Israels Antisemitismus im Spiel ist oder nicht. Die Vorstellung, dass jede Kritik an Israel antisemitisch ist, lehne ich ab. Ich glaube, das ist eine reflexhafte Antwort, und zwar eine, die sich der Verantwortung entzieht, die Situation tatsächlich zu beurteilen. Denn es gibt im Judentum selbst eine starke 'kritische' Tradition. Der einzige Grund, warum ich glaube, dass, deskriptiv gesehen, diese Gruppen unter die Kategorie 'links' gehören, ist, weil sie gegen Kolonialismus und Imperialismus kämpfen. Für Hugo Chávez könnte dasselbe gesagt werden, und es ist richtig, über seine Politik zu diskutieren und zu entscheiden, ob man sie unterstützt oder nicht. Im Bezug auf Hamas und Hizbollah bedeutet das, zu diskutieren, ob ein gewalttätiger Widerstand akzeptabel ist, und ich selbst habe mich entschieden, gewaltlosen Widerstand zu unterstützen.“
Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Und doch wird der Tausendfüßler „Butler ist Hamasfan“ in verschiedensten Versionen weiter durchs Internet kriechen und nicht aufzuhalten sein. Aber der eine oder andere Wohlmeinde oder doch nicht völlig Verbohrte, der bisher Fehldarstellungen aufgesessen ist, wird durch die hier gebrachten Zitate vielleicht doch etwas Neues erfahren haben und eines Besseren belehrt worden sein. Das ist schon so ziemlich alles, was man heutzutage im Internet gegen Lügen ausrichten kann.

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