Donnerstag, 8. November 2012

Positive Wörter

Es gibt Texte, deren Lektüre lässt mich einmal mehr ahnen, dass ich die Welt nicht verstehe. Oder zumindest nicht verstehe, wie andere sie zu verstehen scheinen. „Kaffee verbessert positive Wahrnehmung“ lautet eine Überschrift in der FAZ. Und während ich noch rätsle, was denn wohl „negative Wahrnehmung“ sein könnte (Wegschauen?), lese ich weiter, und es kommt noch übler: „Einer Studie zufolge fallen positive Wörter schneller auf, wenn der Leser Kaffee getrunken hat. Die Forscher spekulieren nun über eine Verbindung von positiven Informationen und der linken Hirnhälfte.“ Was um Himmels willen sind „positive Wörter“?
Eigentlich pflege ich ja Artikel, in deren Einleitung Vokabeln wie „Information“ und „Hirnhälfte“ vorkommen, ab genau solchen Stellen nicht weiterzulesen, weil erfahrungsgemäß sowieso nur Quatsch drinstehen kann. Aber ich bin so fasziniert von dem für mich völlig nichtssagenden Ausdruck „positive Wörter“, dass ich zu gerne wissen möchte, was wohl damit gemeint ist. Ich kann es mir schlechterdings nicht vorstellen und könnte wohl selbst bei angestrengtestem Nachdenken nicht herausbekommen, was das denn sein soll.
Sind nicht alle Wörter, einfach weil es sie gibt, positiv, nämlich Gegebenheiten der Sprache? Und was wäre das Gegenteil eines positiven Worts? Etwas Ungesagtes? Wörter, mit denen man Negationen formuliert? Mit denen man Begriffe des Mangels bezeichnet? Rätselhaft.
Ich lese: „Forscher der Universität Bochum haben jetzt herausgefunden, dass Koffein die Wahrnehmung von positiven Begriffen in Texten verbessert. 66 Probanden sollten am Computerbildschirm echte Wörter von sinnlosen Begriffen unterscheiden. Dies klappte bei positiven Begriffen wie Flirt, Humor und Reichtum unter Koffeineinfluss deutlich besser als bei negativen oder neutralen Wörtern.“
Ach du liebe Zeit. Mal ganz abgesehen davon, dass hier offensichtlich „Begriff“ und „Wort“ fälschlich als verschiedene Ausdrücke desselben Begriffs gelten sollen: immerhin werden hier drei Beispiele gegeben — Flirt, Humor, Reichtum. Das also sind positive Wörter? Na, ich weiß nicht. Gibt es denn, diesseits abstrakter Analysen, derlei überhaupt: einzelne Wörter? Oder haben Wörter Bedeutungen nicht immer nur in (möglichen) Sätzen? Und Sätze in Situationen? „Das ist ein Flirt der CDU mit dem rechten Rand.“ „Sein ätzender Humor pflegt seine Freunde zu vergraulen.“ „Ihr Reichtum gründet auf der Ausbeutung ihrer Mitarbeiterinnen.“ Positive Wörter? Hm.
Ich verlasse die Seiten der FAZ und google. Da muss doch mehr herauszubekommen sein. Ich finde aber bloß noch irgendwo „Szene“ als neutrales Wort angegeben und „Schleim“ als negatives. Auch nicht sehr aussagekräftig. Es hilft nichts, ich muss „Plos One“ aufrufen, die Online-Fachzeitschrift in der der Herr Kuchinke und Frau Lux ihre Studie publiziert haben sollen. (Übrigens: Ist Bochum ein positives, neutrales oder negatives Wort?)
Oh weh. So wichtig ist mir die Angelegenheit auch wieder nicht, dass ich jetzt das ganze Gebrabbel durchlese. Ich überfliege ein paar Absätze und entdecke einen Verweis auf eine „Berlin Affective Word List“. Das klingt doch informativ, das sehe ich mir an. Aber wie zu erwarten: Es handelt sich wieder um einen Text, dessen gründliche Lektüre ich mir sicher nicht antun will. Schon gar nicht, wenn ich im ersten Absatz lesen darf: „Picture yourself lying on a pristine beach listening to the waves rolling in. You probably have positive emotions.“ Nein. Ich hasse Strände und das Meer geht mir auf die Nerven. (Ein Minderheitsvotum, ich weiß.)
Immerhin meine ich aber doch noch herauszubekommen, dass es um eine „valence“ geht, die von „pleasant“ bis „unpleasant“ reicht. Na, Psychologie ist aber einfach. Warum hab ich nicht sowas studiert, sondern Philosophie? Hätte mir Jahrzehnte des Nachdenkens erspart. Eine echt Liste mit Wörtern entdecke ich allerdings nicht. Egal, mir schwant schon, wie der Hase laufen soll.
Mit „positiv“ ist wohl gemeint: mit angenehmen Assoziationen verbunden. Aha. Und was einem gefällt, erkennt man eher und merkt es sich besser. Soso. Was Sie nicht sagen. Weil ich persönlich aber nicht daran glaube, dass Assoziationen und affektive Besetzungen immer bei allen gleich sind (und es gar nicht sein können) — meine von den Bildern der Werbeindustrie und den Urlaubssehnsüchten meiner Mitmenschen deutlich abweichende Einstellung zu Sonne, Strand und Palmen ist mir dafür ein Beleg unter vielen —, scheint mir der Aufwand, auf der Grundlage ungenauer Begriffe, aber mit viel „wissenschaftlichem“ Getue, in einer vorweg zurechtgelegten Empirie herumzustochern, in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn zu stehen, sondern bloß aufgemotzte Kaffeesatzleserei zu sein. Und die lehne ich als passionierter Teetrinker ab.

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