Mittwoch, 12. Dezember 2012

Schnipp, schnapp, Grundrecht ab

Ein paar Hundert Leute werfen Kärtchen in eine Urne, und schwuppdiwupp: aus Unrecht wird Recht. Mit anderen Worten, der Deutsche Bundestag hat ins Bürgerliche Gesetzbuch einen „§ 1631d Beschneidung des männlichen Kindes“ eingefügt, der da lautet: „(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“
Hört damit Beschneidung auf, eine Körperverletzung zu sein? Nein. Wird damit das Grundgesetz verletzt (das in Art. 2 Abs. 2 das Recht auf körperliche Unversehrtheit erwähnt)? Meiner Meinung nach: Ja.
Durch den neuen Paragraphen wird keineswegs, wie in der vorausgegangenen Debatte immer wieder behauptet wurde, „jüdisches und muslimisches Leben“ in Deutschland weiterhin ermöglicht, denn erstens wäre die Existenz jüdischer und muslimischer Religionsgemeinschaften durch Aufrechterhaltung des Verbotes von Körperverletzungen an Unmündigen keineswegs gefährdet; zweitens nimmt der Gesetzestext in keiner Weise auf bestimmte Religionsgemeinschaften und deren Traditionen Bezug (was ja wohl ebenfalls dem Grundgesetz widerspräche, insofern dieses verbietet, jemanden wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen); und drittens erteilt der neue Paragraph „Personensorgeberechtigten“ (also Eltern und ähnlichem Gesindel) eine Blankovollmacht, aus jedem beliebigen Grund oder auch ohne einen solchen —  also, ausdrücklich sei’s vermerkt, nicht bloß aus religiösen Gründen! —  einen ihrer „Personensorge“ unterstehen Knaben beschneiden zu lassen. Je jünger das Kind, desto besser, denn es muss einsichts- und urteilsunfähig sein, mit anderen Worten: wehrlos.
Beim Thema Beschneidung geht es, anders als es von interessierter Seite dargestellt wurde und wird, nicht um Religion. Wer Texte von mir kennt, weiß, dass bei mir von Religionsfeindlichkeit keine Rede sein kann. Trotzdem bin ich — persönlich übrigens nicht betroffen —  ein entschiedener Gegner der Beschneidung Unmündiger. Warum? Weil sich in solchen Körperverletzungen das alte „Recht“ von Eltern, über ihre Kinder zu verfügen, verwirklicht. Ich bin kein großer Freund der Moderne. Aber zu den modernen Errungenschaften, die ich vorbehaltlos anerkenne, gehört das Verbot, Kinder zu schlagen, zu quälen, zu benützen, für sich arbeiten zu lassen, sie gar zu töten, wie es einem gefällt.
Gegenüber weit grausameren Verbrechen mag eine Beschneidung als eine geringe Verletzung des Kindeswohles erscheinen. Ihrer kulturgeschichtlichen Herkunft nach war sie allerdings ohnehin von vor allem symbolischen Wert: eine Abgrenzung von Nichtbeschnittenen und eine stellvertretende Kastration. Viel jünger ist die Sexualfeindschaft, die unter dem Vorwand der Hygiene (und vermutlich ebenfalls einem maternalen Kastrationswunsch) in den USA zum exzessiven Zirkumzisieren geführt hat (geschätzte 80% der Männer in den USA sind beschnitten). Für meine Argumentation spielen freilich die Motive der Eltern, mögen sie gut oder schlecht sein, keine Rolle: Es gilt, Schwache gegen Starke in Schutz zu nehmen und darum auch die freie Verfügungsgewalt der Eltern über ihre Kinder zu bekämpfen.
Nochmals: Von einem Körperverletzungsverbot (das ein Beschneidungsverbot umfasst, aber auch andere, zum Teil uralte Traditionen, die zufällig in Deutschland nicht vorkommen, wie Tellerlippen oder Halsverlängerungen usw.) ist die Religionsfreiheit in keiner Weise betroffen. Die Eltern bleiben ja Muslime oder Juden, egal, ob ihr Sohn symbolisch kastriert wird oder nicht. Von einer Verletzung der Religionsfreiheit des unmündigen Knaben aber kann ja wohl nicht im Ernst die Rede sein.
Der Deutsche Bundestag hat sich nun also gegen das Kindeswohl entschieden. Wäre es nur um die Muslime gegangen, hätte man mit Sicherheit keinen neuen Paragraphen beschlossen. Der rhetorische Terror von bestimmten jüdischen Funktionären freilich setzte die Politik unter Zugzwang. Aus lauter Angst, es sich mit „den Juden“ zu verderben (und dann von Israel und den USA scheel angesehen zu werden), hat man nun Sonderrecht geschaffen. Dass es  in den jüdischen Gemeinden auch andere, leisere, weniger gewaltorientierte  Stimmen gibt, interessierte nicht.
Vielleicht ist juristisch nichts mehr dagegen zu machen. Aber wenn die Erfahrungen, die so viele Opfer in der Zeit der NS-Herrschaft machen mussten, etwas lehren, dann nicht zuletzt dies: Gesetze machen aus Unrecht nicht Recht. Darum bleibt Beschneidung Körperverletzung und als solche Unrecht, möge der § 1631d BGB lauten, wie er will.

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