Montag, 25. März 2013

Aufgeschnappt (bei einem christlichen Denker)

Ausgegangen werden muß von der Gleichheit der Menschen. Dann erst kann und muß von der Ungleichheit der Menschen gesprochen werden. Umgekehrt ist es eine gefährliche Sache, die praktisch zu den schlimmsten Katastrophen führt. Für den Christen ist diese These ganz klar.

Theodor Haecker (1879-1945)

Sonntag, 17. März 2013

Wie falsch kann Wahrheit sein?

Das Internet, dieser Ozean fremder Gedanken, der Stunde um Stunde so viel Bedenkenswertes und Bedenkliches heranspült, hat mir heute auch diesen Satz gebracht: „Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, dass meine Sicht die einzig richtige ist.“ (Als Quelle wird „Nagarjuna“ angegeben.) Ich bin überzeugt, dass dieser Satz vielen Menschen gefällt, dass sie ihm spontan zustimmen. Mir aber leuchtet er ganz und nicht ein, ja ich halte ihn, sofern ich ihn überhaupt verstehe, für falsch. Das möchte ich hier ausführen. Dabei interessiert es mich nicht, ob der Satz tatsächlich von Nagarjuna stammt und was dessen Philosophie eigentlich ist; ich nehme den Satz vielmehr so, wie er dasteht, ohne einen spezifischen Kontext.
„Es gibt nur eine falsche Sicht: Den Glauben*, dass meine Sicht die einzig richtige ist.“ Vielleicht kann man ja diesen Satz auch ganz harmlos und unprätentiös verstehen als Warnung, die eigene Sicht der Dinge nicht zu überschätzen, sondern stets der eigenen Beschränkungen eingedenk zu sein. Jeder ist anfällig für Täuschung und Irrtum, niemand, zumindest kein gewöhnlicher Sterblicher, der im eigenen Namen spricht, ist unfehlbar. Wenn der Satz nur das besagen wollte, wäre er wohl wahr, aber auch ein bisschen banal. Er sagt allerdings, wörtlich genommen viel mehr, nämlich nicht nur: Es ist möglich, dass man sich irrt, sondern er behauptet: Man irrt sich immer, wenn man glaubt, dass man die Wahrheit weiß.
Das ist nun offensichtlich paradox. Wie der Satz, alles sei unwahr, sich selbst widerspricht, denn wenn er selbst unwahr ist, ist nicht alles unwahr, und wenn er wahr ist, ebenfalls nicht, so ist auch die Behauptung, jeder Anspruch auf Wahrheit sei immer falsch, offenkundig widersprüchlich, sofern nämlich dieser Satz doch wohl selbst den Anspruch erhebt, wahr zu sein, und dann ja, sich selbst zufolge, eine falsche Sicht sein müsste, woraus wiederum folgt, dass dann eben doch nicht jeder Wahrheitsanspruch falsch ist. Anders gesagt, die Sicht, dass der Glaube, eine einzige Sicht sei die einzig richtige, sei falsch, ist selbst nur eine Sicht und wäre darum, wenn sie richtig ist, falsch und falsch, wenn sie richtig ist.
(Weiter im Text geht es hier.)