Montag, 22. Juli 2013

À Trappes

Bekanntlich haben die Franzosen den Terror erfunden. Nicht die Sache, versteht sich, sondern den Begriff: la terreur, ins Deutsche treffend als Schreckensherrschaft übersetzt. Terror ist nämlich, das wird oft absichtsvoll übersehen, in erster Linie staatliches Handeln. Nichtstaatlicher Terrorismus ist demgegenüber der Versuch, die Staatsmacht zu imitieren und durch Gewaltanwendung Politik zu simulieren. La terreur jedenfalls bezeichnet nicht nur eine Phase der Französischen Revolution, sondern eine politische Grundhaltung: Rübe ab bei allen Feinden von Vernunft und Tugend!
Ganz in diesem Sinne funktioniert seit 2010 das gesetzliche Verbot der Verschleierung von Frauen in der Öffentlichkeit. Einmal abgesehen von der Missachtung des sonst so hochgehaltenen Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter — warum dürfen anscheinend Männer verschleiert sein, Frauen aber nicht? —, drückt sich hier der Vernunft- und Tugendterror deutlich aus: Bestraft wird, wer „unsere“ Vorurteile nicht teilt. Denn eine in der Öffentlichkeit verschleierte Frau ist nicht einfach eine in der Öffentlichkeit verschleierte Frau, sondern zwangsläufig ein Symbol der Gegnerschaft zur „bei uns“ herrschenden Auffassung, wonach der weibliche Körper jederzeit zumindest visuell konsumierbar sein muss. Nicht das weibliche Individuum hat also darüber zu entscheiden, ob und wie es sich präsentieren möchte, sondern die Gesellschaft legt fest, dass Frauen in bestimmter Weise auszusehen haben. Das Gegenteil der öffentlichen Darbietung, die Präsentation bloß im Privaten, gilt demgegenüber als Unfreiheit. So oder so ist es aber das unterstellte männlich-heterosexuelle Begehren, das das Kriterium abgibt: Frauenkörper werden entweder durch permanente visuelle Verfügbarkeit oder permanente öffentliche Unverfügbarkeit sexualisiert.
Die beiden Modelle, das westliche und das „orientalische“, sind aber keineswegs symmetrisch. Denn während der Unterschied von „außer Haus verschleiert“ und „im Haus unverschleiert“ immerhin eine nachvollziehbare Logik hat, wäre es reichlich absurd, in der Öffentlichkeit als Nutte rumzulaufen, sich in den eigenen vier Wänden aber in einen Tschador zu hüllen …
Wie auch immer. Das französische Gesetz jedenfalls bringt das Ressentiment („Wieso sehen die nicht aus wie wir?“) in die Form eine exekutierbaren Rationalität („Es ist verboten, nicht auszusehen wie wir“). Ein klassischer Fall von Straftat ohne Opfer. Denn bestraft wird die Trägerin des Schleiers, ganz unabhängig davon, ob die Verschleierung ihre eigene Entscheidung ist oder ihr von anderen nahegelegt oder aufgezwungen wurde. Menschenverachtender kann die Durchsetzung von „Freiheit“ kaum verfahren. Frauen gelten in solchen Fällen de jure als unmündig: Sie können im Grunde gar nicht selbstbestimmt verschleiert sein — das weiß Vater Staat (Mutter Republik) besser als sie selbst —, da die Verschleierung prinzipiell im Widerspruch zur verordneten Konsumfreiheit steht. Und die ist, als Einheit von Demokratie und Kapitalismus, wichtigera ls alles andere.
Ganz Gallien ist also von Rechts wegen eine burkafreie Zone. Ganz Gallien? Nein. Im Städtchen Trappes hat jüngst die polizeiliche Perlustrierung eine verschleierten Frau zu Unruhen geführt. Ein mündiger Mitbürger setzte sich gewalttätig zur Wehr. Hunderte von Jugendlichen nutzten die Gelegenheit zur Rebellion. Gründe haben sie jederzeit mehr als genug. Steine flogen, Autos brannten. Knüppel und Tränengas waren die Antwort. Das Übliche halt.  Von rechts, ganz rechts und staatslinks wird Härte gefordert, wie immer. Es geht ja auch nicht um Religion oder Kultur. Es geht um die Macht, andere für minderwertig zu erklären und auszugrenzen. Mit anderen Worten: um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, organisiert als Klassenkampf.
Das Burka-Verbot wird eben darum wohl bleiben. Zu perfekt verkörpert es das Recht des Staates, zwischen gut und böse zu unterscheiden und auf der Grundlage „religiöser Neutralität“ diesen Unterschied zu ethnisieren und in die sozialen Verhältnisse einzutragen. Oder hat man je davon gehört, dass die Ehefrau oder Tochter eines „Ölscheichs“, die elegant verhüllt bei Cartier und Dior shoppen geht, von der Staatsmacht wegen einer solchen Bagatelle wie dem Verschleierungsverbotshesetz belästigt worden wäre?

Sonntag, 21. Juli 2013

Birne kann alles, auch Homo-Ehe

Selbstverständlich gibt der Mann, der unter Hintanstellung seines Amtseides auf die seiner Meinung nach für ihn eben nicht geltenden Gesetze bis zum heutigen Tag die Namen von Spendern an schwarze Parteikassen unter Berufung auf sein „Ehrenwort“ verschweigt, den idealen Trauzeugen ab: Helmut „Wichtig ist was hinten rauskommt“ Kohl hat seinem langjährigen Anwalt die standesamtliche Eintragung der Partnerschaft mit einem anderen Anwalt bezeugt. Weiterer Trauzeuge war Guido Westerwelle. Wem diese Meldung immer noch kein Argument gegen die Homo-Ehe ist, dem kann wohl einfach nicht geholfen werden, der stört sich gar nicht daran, dass die Ehe ein reaktionäres Spektakel ist, der will das so.

Freitag, 5. Juli 2013

Vermischte Meldungen (11)

Man stelle sich vor, die Bundeswehr (das Bundesheer) erklärte Merkel (Faymann) für abgesetzt, installierte Voßkuhle (Holzinger) zum Übergangsregierungschef und ägyptische Zeitungen kommentierten: „Eine Chance für Deutschland (Österreich)."

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Mursi habe das Land heruntergewirtschaft, erklärt einer der unzähligen „Nahost-Experten“. Es ist immer wieder erstaunlich, was ein Einzelner in kürzester Zeit so leisten kann. Vorausgesetzt, versteht sich, er ist Islamist. Und doch stellt sich die Frage: Hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?

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Man stelle sich vor, irgendein Land ziehe plötzlich die Überflugsrechte für die Air Force One zurück.
 

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Wenn es in hundert Jahren noch Flughäfen gibt: Ob dann Scheremetjewo den Namen von Edward Snowden trägt?

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Man stelle sich vor, die Maschine von Morales hätte die Verweigerung der Überflugsrechte ignoriert. Hätten Frankreich, Spanien, Portugal eine Landung erzwungen oder das Flugzeug gleich abgeschossen?

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Der Flughafen heißt „Vienna International Airport“ oder schlicht „Flughafen Wien“, befindet sich aber nicht in Wien, sondern in Schwechat. Guter Journalismus zeigt sich, wie gute Lügen, am Detail.

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Man stelle sich vor, Evo Morales (der freilich von Domodedowo abflog, nicht von Scheremetjewo) hätte Edward Snowden an Bord gehabt. So what? Hätte für österreichische Beamte irgendeine Rechtsgrundlage bestanden, ihn aus der Maschine zu holen?

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Wurde das richtig übersetzt? Hat der Ko-Putschist Mansur allen Ernstes einen Eid „auf die Verfassung“ abgelegt?

Mittwoch, 3. Juli 2013

Shame on you!

Der deutsche Bundesminister des Innern hat erklärt, „da es sich um die USA, einem [sic] Rechtsstaat handelt mit ganz normalen, demokratisch gewählten Abgeordnetenvertretern und Verfahren [ergänze: kann ich mir] nicht vorstellen, dass man dort aus humanitären Gründen zu einer solchen Aufnahme kommt“. Mit diesen wohlgesetzen Worten kündigte Hans-Peter Friedrich an, was Stunden später offiziell erklärt wurde: Die Bundesrepublik Deutschland wird Edward Snowden weder Asyl gewähren noch Aufenthalt.
Einmal abgesehen davon, dass Snowden Glück haben dürfte, wenn keiner der EU-Staaten ihn aufnimmt, da diese alle ein Auslieferungsabkommen mit den USA haben, ist die Begründung, warum Snowden weder Asyl noch anderen Schutz bekommen soll, aberwitzig. Er sei eben nicht politisch verfolgt, stimmen manche Kommentatoren der Regierungslinie zu.
Wenn Edward Snowden nicht wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt wird, dann weiß ich nicht, wer das je wurde!
Selbstverständlich ist er, egal. was die US-Gesetze besagen, kein Krimineller, sondern ein Handelnder aus Überzeugung. Einer höchst ehrenhaften und unterstützenswerten Überzeugung zumal.
Snowden benötigt darum dringend Schutz vor Verfolgung. Denn dass die USA kein Rechtsstaat sind und dass es dort sehr wohl politisch Verfolgte gibt, ist offensichtlich. Ever heard of Bradley Manning, Mr. Friedrich? Man kann sehr wohl eine Demokratie sein mit Wahlen und Abgeordneten und dem ganzen Kram und trotzdem Unrecht tun. Wie man ja auch einen umfangreichen Justizapparat mit ganz wunderbar funktionierenden Verfahren haben kann, ohne unbedingt auf derlei zurückgreifen zu wollen, wenn’s einem nicht passt, Stichwort: gezielte Tötungen.
Leider steht Deutschland mit seiner Ablehnung von Asyl oder anderem Schutz für Edward Snowden nicht allein. Von 21 angefragten Staaten haben elf bereits abgelehnt (Brasilien, Deutschland, Ecuador, Finnland, Indien, Irland, Norwegen, Österreich, Polen, Russland, Spanien), andere (noch) nicht geantwortet und nur Venezuela hat seine mögliche Bereitschaft bekundet.
Dies sind Tage der Schande für die sogenannte „internationale Staatengemeinschaft“, die sich damit einmal mehr als Gesindel erweist, für das ich sie immer gehalten habe!

Free Chelsea* Manning! Protect Edward Snowden!

*Geändert am 22. August 2013; vorher stand hier: Bradley.