Dienstag, 1. Oktober 2013

Rechtsruck, welcher Rechtsruck?

Viele deutsche Medien wissen von einem Rechtsruck bei der Wahl zum österreichischen Nationalrat zu berichten. „Diese sogenannten Freiheitlichen haben 3,9 Prozentpunkte zugelegt. Und das, obwohl zwei kleine rechte Gruppierungen zusammen auch noch einmal zehn Prozent einsammeln konnten.“ So wie hier die Süddeutsche Zeitung kann man auch zählen. Aber das ist ein eine Milchmädchenrechnung mit Äpfeln und Birnen.
Warum bloß sind Journalistinnen und Journalisten so oft zu faul (oder zu ignorant), um sich die relevanten Zahlen genauer anzuschauen? Das ergäbe nämlich: Bei der Nationalratswahl 2008 konnten die beiden „post-haiderianischen“ Zwillingsparteien FPÖ und BZÖ zusammen 1.379.962 Stimmen auf sich vereinigen. Jetzt, bei der Wahl 2013, kommen sie zusammen auf 1.128.059 Stimmen. Das sind 251.903 Stimmen weniger! Die FPÖ konnte also nicht einmal die Verluste des BZÖ ausgleichen (übrigens auch in Prozent- und Mandatszahlen nicht). Und selbst wenn man noch die für das Team Stronach angegebenen Stimmen dazuzählt (wie es die Autoren in der Süddeutschen vorschlagen), kommt man „nur“ auf 1.396.738 Stimmen, also lediglich 16.776 mehr, als 2008 auf FPÖ und BZÖ entfielen. Das sind gerade 0,36 Prozent der gültig abgegeben Stimmen.
Ist das ein Rechtsruck? Sicher, wenn man immer nur auf die Prozentzahlen starrt wie Kaninchen auf die Schlange, dann ergibt sich ein anderes Bild. Aber ein verzerrtes. Denn die Prozente werden unter Vernachlässigung der Wahlbeteiligung errechnet — über den tatsächlichen quantitativen Zuspruch, den Parteien in der Bevölkerung finden, sagt das nichts aus. Und es werden ja auch immer 100 Prozent der Parlamentssitze vergeben. Aber selbst hier ergibt sich kein „Rechtsruck“: FPÖ und Team Stronach werden zusammen (vorerst) 51 Abgeordnete stellen (das BZÖ ist nicht im Nationalrat vertreten), 2008 hingegen gehörten noch 55 der Mandatare FPÖ und BZÖ an.
Um nicht missverstanden zu werden: Jede Stimme für Nazis, Rassisten, Rechtspopulisten und senile Ausbeuter ist eine Stimme zu viel. Es ist erschreckend, wie viele Menschen in Österreich menschenverachtenden Parteien wählen. Aber man muss auch die gute Nachricht gelten lassen: Die Zahl der Rechtswählerinnen und Rechtswähler in Österreich ist in fünf Jahren praktisch gleichgeblieben. Und das trotz verdummender Dauerberieselung. Ist das nichts?

Alle Zahlen nach http://wahl13.bmi.gv.at. (Einige Zahlen im Text wurden von mir am 4.10.2013 im Hinblick auf die Auszählung der Wahlkarten verändert. Die Aussagen blieben dieselben.)

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