Sonntag, 30. August 2015

Staaten sind ein unnützes Übel. Warum darf nicht jeder Mensch — im Rahmen des ihm Möglichen — selbst entscheiden, wo er leben möchte? Mit welchem Recht (außer dem von ihnen selbst gesetzten und mit Gewalt durchgesetzten) legen Staaten fest, wer auf welchem Territorium sich zu befinden hat, wer welcher Staatsmacht zugeordnet, wer „fremd“ ist? (Fremd nicht im Sinne von „unvertraut“, sondern von „nicht hierher gehörig“.) Noch erstaunlicher aber als diese Selbstermächtigung nationalstaatlicher Gewalt ist, dass die Leute mitspielen, dass sie sich mit der Willkür identifizieren und „unser Land“, „unsere Gesellschaft“, „unsere Kultur“, „unsere Sozialsysteme“ gegen „die“ — die Herbeiströmenden, Heranflutenden, geradezu Überflüssigen — in Schutz nehmen. Einfach wär’s, wenn sie nur ihr Eigentum und ihre Gewohnheiten verteidigen wollten, diese beiden Hindernisse für gelingende Menschlichkeit. Das kann man moralisch kritisieren. Aber sie verteidigen mehr und Schlimmeres: Das Phantasma einer natürlichen Gemeinschaft, die auf dem Ausschluss der natürlich nicht Dazugehörenden beruht und sich, um das natürliche Recht auf Identität zu schützen, selbstverständlich als Staat formieren muss. Dieser Aberglaube, selbst der Staat zu sein, der einen kontrolliert und gängelt, wird dann besonders widerlich, wenn dabei nicht mehr nur die Reichen reicher und die weniger Reichen in Schach gehalten werden sollen (was nach meinem Verständnis die vornehmste Aufgabe des Staates ist), sondern von den Ärmsten der Armen, die auf der Flucht oft nur das nackte Leben retten konnten, auch noch verlangt wird, sie müssten sich dem Status quo fügen, das „Recht“ der Starken und Mächtigen anerkennen und sich dem herrschenden Aberglauben anpassen.

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