Sonntag, 2. Oktober 2016

Splitterrichter meiner selbst (III)


Mir waren jene Schaudenker immer unangenehm, die die Leute dadurch in den Bann zogen, dass sie sich zwar als gebildeter und klüger als ihrer Zuhörer und Leser darstellten, zugleich aber den Eindruck vermittelten, allein schon dadurch, dass man ihre Überlegenheit anerkenne, habe man gewissermaßen Anteil an derselben. Doch so abstoßend ich dieses Geschäftsmodell stets fand, wäre ich nicht insgeheim selbst auch immer gern so ein Vordenker gewesen, dem die Leute nachdenken?

Eines darf man mir glauben: Ich möchte nicht, dass man mir Recht gibt, wo ich nicht Recht habe.

Könnte, dass man mich zuweilen für rechthaberisch hält, nicht einfach damit zu tun haben, dass mir zu den von anderen vorgebrachten Argumenten fast immer Gegengründe und Umformulierungen einfallen und ich sie, statt einfach den Mund zu halten, auch vorschlage?

Ich möchte (nicht immer und überall, sondern bei dem, was mich interessiert) herausbekommen, was wahr ist, und übersehe, dass dieser Wille zur Wahrheit nur meiner ist, dass andere vielleicht ganz anderes wollen. Zwar geht es möglicherweise auch ihnen um wahre Überzeugungen, aber ihre Kriterien dafür, was als wahr gelten kann, sind unter Umständen andere als meine.

Wahrheitsproduktion ist eingebettet in soziale Strukturen. Das ist mir klar. Aber ich tue immer so, als hätte ich nichts damit zu tun.

Logisch gesehen muss, was wahr ist, für alle wahr sein. Tatsächlich aber gibt es verschiedene „Wahrheiten“, je nach dem, was jemand aus welchen Gründen wahr haben will (oder als wahr anerkennen kann).
 
Weil anderen nicht nur wichtig ist, ob stimmt, was sie sagen, sondern noch viel wichtiger, ob man ihnen auch zustimmt, unterstellen sie mir, mir ginge es genauso.


Ich wirke vielleicht deshalb rechthaberisch, weil mir wichtiger ist, dass stimmt, was ich sage, als dass man mir zustimmt.

Von der Sache her gesehen ist es wichtiger, Recht zu haben als Recht zu bekommen. Von den gesellschaftlichen Verhältnissen her gesehen ist es wichtiger, Recht zu bekommen als Recht zu haben. (Siehe Michael Kohlhaas.)

Man bekommt ein anderes Verhältnis zum Rechthaben, wenn man nie Recht bekommt, weil das eigene Denken für andere zu abseitig ist.

Was die Voraussetzungen ihrer Überzeugungen in Frage stellt oder schlicht nicht teilt, muss den Menschen als abseitig erscheinen.

Wenn man ohnehin nicht erwartet, Recht zu bekommen, kann man seine Befriedigung daraus beziehen, andere vor den Kopf zu stoßen. Dann darf man sich aber auch nicht wundern und darüber beschweren,  dass man nicht Recht bekommt.

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